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„Musik ist eine heilige Kunst, zu versammeln alle Arten von Mut
wie Cherubim um einen strahlenden Thron -
und darum ist sie die heilige unter den Künsten,
die heilige Musik“
(Hugo von Hofmannsthal / Richard Strauss: Ariadne auf Naxos)
„Wer die Musik sich erkiest,
hat ein himmlisch Gut gewonnen“
(Eduard Mörike)
“Then music with her silver sound
With speedy help doth lend redress”
(William Shakespeare: Romeo and Juliet)
All das und noch viel mehr soll Musik sein oder bewirken, aber taugt sie auch zum Schulfach? Anders gesagt: kann Musik als Zeitkunst, als Inkarnation verstörender Mehrdeutigkeit, oder auch als „sinnvermittelndes und sinnhervorbringendes Kulturphänomen” in den Kanon wissenschaftlicher oder besser verwissenschaftlichter Gegenstände eingepaßt werden, die unser zunehmend utilitaristisch bestimmtes Bildungssystem vorsieht? Sie kann es, wenn man sie als strukturelle Erscheinung begreift, als erlernbares Regelsystem, das auch mit durchschnittlicher Intelligenz begabten Menschen zugänglich ist. Sie kann es nicht, wenn man sie nach ihrem Nutzwert fragt, nach ihrer Tauglichkeit zur konkreten Lebensbewältigung, nach dem Beitrag, den sie dazu leistet, aus jungen Menschen funktionierende Bausteine in post-post-modernen Gesellschaftssystemen zu machen. Als „ars liberalis“ hat sie längst ausgedient, als Indiz dafür, dass das Gymnasium die Lehranstalt für das Überflüssige sei, das Überflüssige aber das eigentlich Wichtige und Wertvolle, was „Bildung“ in einem tieferen Sinne ausmacht. Also: ist Musik ein Schulfach oder nicht? - Nein! Soll sie also aus der Schule verschwinden? - Nein!! Was bleibt, sind Kompromisse, die in Rechnung stellen müssen, dass Musik einerseits in weit höherem Maße in fast alle Lebensbereiche hineinwirkt, andererseits aber unmittelbar kognitiv viel weniger faßbar ist als viele andere Fächer. Also bleibt zunächst nichts anderes, als Musik zu behandeln wie ein anderes „wissenschaftliches“ Fach, d.h. den Charakter der Lernbarkeit, der intellektuellen Faßbarkeit zu betonen, Hierdurch kann gleichzeitig das vielfach zur Sprache gebrachte Phänomen der „Begabung“ zumindest relativiert werden. Zweifellos hat ein Kind, welches ein Instrument spielt oder sich anderweitig musikalisch betätigt, Vorteile gegenüber einem musikalisch passiven, aber diese Vorteile sind auch nicht größer als diejenigen, welche ein viel und bewusst lesender Mensch für den Deutschunterricht gegenüber einem solchen besitzt, dessen Lektüre sich auf die Tastatur seines PC oder ggf. auf Bildzeitungs-Schlagzeilen beschränkt.
Anders gesagt: Die Struktur einer Tonleiter oder eines Dreiklangs ist nicht komplizierter als das kleine oder große Einmaleins, die Umschreibung mit „to do“ oder die Grundregeln des AcI, sicherlich aber leichter faßbar als die Verästelungen beim Gebrauch des deutschen Konjunktivs, die theoretischen Grundlagen des Investiturstreits oder die Anatomie der gemeinen Stechmücke.
Und weiter? Viel wäre gewonnen, wenn es gelänge, ansatzweise so etwas wie „Bewusstes Hören“ zumindest als Möglichkeit vorzustellen, zu beweisen, daß jeder die Freiheit hat, die in exponentiellem Wachstum begriffene akustische Vergewaltigung wenigstens vorläufig zu systematisieren und zu entscheiden, was man annimmt und was man ablehnt, zu begreifen, was die Musik mit uns vorhat.
„Die Kuh wird textlich nicht analysiert.“ (aus einer Klausur der Jahrgangsstufe 10 zu einem Ausschnitt aus Joseph Haydns „Schöpfung“) Anders als in den meisten anderen Fächern werden Schülerinnen und Schüler erst spät, und dann auch nur vereinzelt gefordert, sich zu musikalischen Sachverhalten kohärent und kompetent schriftlich zu äußern. Nun entzieht sich aber gerade Musik vermöge ihres mehrdeutigen, untergründigen, ja geradezu verantwortungslosen Wesens mehr als viele andere Gegenstände der konkreten, allgemein-verständlichen Versprachlichung. Wie übt man das? Der Grundsatz, man habe sich einen Leser vorzustellen, der zwar über eine grundsätzliche musikalische Bildung verfügt, mit dem behandelten Gegenstand aber nicht vertraut ist, und ihm solle man denselben schriftlich nahebringen, erweist sich zwar theoretisch als einleuchtend, enthüllt aber in der Praxis eine grundsätzliche, in exponentiellem Wachstum begriffene Verarmung des sprachlichen Vermögens, der grundsätzlich abzuhelfen zu den vornehmsten Aufgaben einer „höheren Lehranstalt“ gehören sollte. Hier wäre endlich einmal der allgegenwärtig zitierte Topos vom „fachübergreifenden Lernen“ praktisch anwendbar, denn die Pflege der Sprache, namentlich der „Mutter“sprache sollte alle Schauplätze geistiger Beschäftigung (vulgo: Schulfächer) miteinander verbinden. Was vorläufig bleibt, ist die Frage nach dem „Profil“ des Faches Musik. Begreift man „Profil“ als reliefartige Hervorhebung aus der Fläche aller Fächer, so breitet sich vor dem Betrachter ein Gebirge mit Gipfeln unterschiedlicher Höhe aus, die dem Alpinisten Schwierigkeitsgerade von I bis VI bieten. Unter diesen steht die Musik eher abseits und bedarf zur Bewältigung professioneller Ausrüstung sowie eines hohen Maßes an Kondition. Versteht man den Begriff aber anders, nämlich als Schwerpunkt, der zum Selbstverständnis, ja zur Definition einer Schule einen wichtigen Beitrag bietet, individuelle Förderung leistet, neidlos von der Schulgemeinschaft anerkannt und unterstützt, so scheint hierzu eine lang gewachsene Tradition unabdingbar, die über die Generationen hinweg zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Wie aber schafft man Traditionen im 21. Jahrhundert? Unser Blick in die Zukunft muss nüchtern konstatieren, dass wir unser „Profil“ vorläufig darin zu sehen haben, die Kärrnerarbeit des schulmusikalischen Alltags mehr als nur akzeptabel zu bewältigen, dabei aber in selbstkritischer Bescheidenheit umsichtig auszuwählen, wann, womit und mit wem wir musikalisch öffentlich werden.
“If music be the food of love, play on”
(William Shakespeare: Twelfth Night)