Im Winter durften wir, wenn Schnee lag, unsere Schlitten mitbringen, dann war unsere Turnstunde in der "Abels Kuhl", das ist das Wiesengelände, das zum Kittelbach abfällt. Im Sommer hatten wir einmal in der Woche einen Nachmittag "Spielturnen". Wir gingen oder fuhren mit den Fahrrädern zum Sportplatz, der lag am Rhein hinter der Rheinfähre. Wir übten 75 m Lauf, Weitsprung und Speerwerfen, auch Schlagball und Kugelstoßen, aber es war kein richtiges Training. Fräulein Kellermann, etwa 35 Jahre alt, war sportlich selbst ganz unbegabt und machte auch keine Übungen vor. Sie war sehr lieb zu uns und lachte mit uns, wenn wir lustig waren. Die Hauptsache war, wir tummelten uns in der frischen Luft. Aber wir waren alle eifrig dabei.
Ostern 1925 bekamen wir zwei neue Lehrerinnen, Fräulein Kels und Fräulein Ernsing, das waren zwei grundverschiedene Typen. Fräulein Kels war etwa 30 Jahre alt, hübsch, sehr vornehm gekleidet, ernst und streng. Sie übernahm den Unterricht von Pastor Koch, der wegen Krankheit aufgeben musste. Wir hatten Respekt vor ihr, aber wir bewunderten sie. Fräulein Ernsing war das Gegenteil von ihr. Sie war immer lustig, etwas schlampig gekleidet mit Sandalen, Söckchen, Trägerrock mit schlecht gebügelter Bluse, das Haar wie damals in der Wandervogel-Bewegung in geflochtenen Zöpfen um den Kopf gelegt, und brachte immer ihre Laute mit zur Schule. Bei ihr hatten wir Musik und Volkstanz. Wir saßen im Sommer im Garten, sangen zur Laute Volks- und Wanderlieder und lernten danach Reigen und Tänze für einen Elternabend unter dem Motto: "Eine Wanderung durch deutsche Gaue in Gedichten, Liedern und Tänzen". Im Winter übten wir ein Theaterstück für eine Weihnachtsfeier. So viel Schönes und Neues brachte mir die Schule, dass ich den Wunsch hatte, ein Instrument zu spielen. Ich lernte, die Geige zu spielen. So ging das Schuljahr 1925/26 dahin. Wir saßen nun in zwei Klassenzimmern zur Straße hin. Es war sehr laut dort, der ganze Verkehr nach Düsseldorf ging durch das Städtchen, der Klemensplatz war noch ein Platz, die Niederrheinstraße und die Straßenbahn gab es noch nicht, die wurden erst 1927 gebaut.
Ganz plötzlich wurde uns Ostern 1926 mitgeteilt, dass die beiden Lehrerinnen, Fräulein Kels und Ernsing, wieder fortgingen und daß Schwestern aus dem Kloster Marienberg in Neuss zu uns kämen. Wir haben am letzten Schultag vor Ostern alle geweint, weil die Lehrerinnen weggingen, wir hatten sie liebgewonnen. Auch das Abschiednehmen von den Jungen fiel uns nicht leicht, der Umgang mit ihnen war so geschwisterlich. Wenn sie uns auch manchmal die Luft aus den Fahrradreifen ließen, so haben wir uns anderswie gerächt, aber gezankt haben wir uns nie.
1926 übernahmen die "Schwestern vom armen Kinde Jesus" die Leitung der Schule. Sie führten bereits in Düsseldorf-Derendorf die Anna Schule, ein Mädchen-Gymnasium, das den Schülerinnen eine Schullaufbahn bis zur Reifeprüfung ermöglichte. Etliche Schülerinnen der Kaiserswerther Schule brachten ihre "Schulkarriere" an dieser Schule zum Abschluss, da die Suitbertus-Schule vor dem Krieg - und auch noch nach dem Krieg bis 1960 - nur den Abschluss mit der Klasse 10 ermöglichte. Mit den Schwestern nahm eine gewisse Strenge und Disziplin in die Schule Einzug, die zunächst Befürchtungen der Schülerinnen erweckten, später aber auch Respekt und Anerkennung hervorriefen.